Das Buch der Jugendlichen aus dem Armenviertel ist seit dem 1. Juni 2007 auf dem madagassichen Buchmarkt!

Kinder der Straßenbücherei schreiben ihr eigenes Buch

„Wieviele Bücher haben Sie geschrieben?“ – „Wie lange schreiben Sie an einem Buch?“ – „Was bringt Sie auf das Thema von einem Buch?“ … Solche und andere ähnliche Fragen kennt wohl jeder Autor, der vor einer Gruppe von Kindern aus seinen Büchern gelesen hat. Auch mir wurden sie oft gestellt, aber eher in den Klassenzimmern in Deutschland, Schweiz und Österreich, den Ländern, in denen ich aus meinen Büchern gelesen habe.

Diesmal – im Juni 2005 – wurde ich von ca. zwanzig madagassischen Jungen und Mädchen befragt. Wir sassen in der damals seit kurzem gebauten Bibliothek „Fanovozantsoa Joseph Wresinski“, die sich in Antohomadinika, einem der ärmsten Wohnviertel Antananarivos, befindet. Der Weg zur Bücherei hatte mich an ärmliche Hütten vorbeigeführt, die sich links und rechts an einen kleinen schmutzig-grünen Kanal befanden, in dem sich der Unrat und das Abwasser sammelt. Hier, inmitten von Staub und Abfällen, spielten kleine Kinder, nicht weit von einem Müllberg, in dem eine junge Frau mit einem Baby nach etwas Nützlichem wühlte.

Immer noch mit den eben gesehenen Bildern der großen Armut vor Augen, saß ich nun in dieser kleinen Bibliothek, schaute auf die halbvollen Regale und ließ mir von den stolzen Jugendlichen erzählen, wie sie mit Hand angefaßt hatten am Bau ihrer Bücherei.

Und dann kamen ihre Fragen an mich, die Autorin aus Deutschland. Immer wieder schnellten ihre Hände in die Höhe. Nachdem ich von mir erzählt hatte, auch wie und warum ich angefangen hatte zu schreiben, erfuhr ich, dass eine Reihe der Jungen und Mädchen auch schrieb. Ein Junge holte sein Heft und zeigte mir die ersten 25 Seiten seines Theaterstücks und ein Mädchen fragte, wann ich denn wiederkommen würde, denn sie hätte auch eine Geschichte geschrieben … Und irgendwann war die Idee vom eigenen Buch da, das sie alle mit ihren Geschichten füllen könnten. Dass ich wiederkommen würde, war danach keine Frage mehr.

Die Jugendlichen, die an ihrem eigenen Buch gearbeitet haben, sind in der Jugendbewegung von ATD Vierte Welt / Madagaskar aktiv (ATD: „Hilfe in aller Not“). Hier in Antananarivo unterstützen sie u.a. die Straßenbüchereien: Sie besuchen mit den MitarbeiterInnen vom ATD die Kinder von Antohomadinika auf Straßen und Plätzen innerhalb des Viertels. Da viele Kinder nicht zur Schule gehen und keine Bücher kennen, ist das Ziel, sie mit Büchern, Geschichten, Liedern und dem Malen vertraut zu machen.

Einer der ATD-Mitarbeiter ist Lucas Rodwell, mit dem ich vom Beginn des Buchprojekts mit den Jugendlichen zusammen gearbeitet habe.

Während der folgenden Werkstattgespräche mit Lucas und mit mir beschlossen die Jugendlichen Geschichten über ihr Leben in ihrem Stadtviertel zu schreiben. Dabei habe ich viel über ihre Lebenssituation erfahren und gesehen, dass das Schreiben für sie mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist: Sie alle leben mit ihren Familien in kleinen notdürftig zusammengezimmerten engen Unterkünften in einem Armenviertel in Antananarivo. In ihren Wohnungen gibt es keinen Raum, in den sie sich zurückziehen können, in dem sie Ruhe zum Schreiben bekommen. Hinzu kommen ihre vielen Verpflichtungen – abgesehen von ihrem Engagement im ATD – , die sie in ihren Familien haben: All die Arbeiten, wie Wasserholen, Kochen, Saubermachen, Wäschewaschen und auf die kleineren Geschwister aufpassen, lassen wenig Zeit für die Schule und zum Schreiben.

Und trotzdem haben sie weiter an ihrem Buch gearbeitet!

Da es in Madagaskar wenige Bücher auf Malagasy, der lokalen Sprache gibt, sollte ihr Buch ursprünglich auf Malagasy und Französich erscheinen. Es sollte von einem der Mädchen illustriert werden und in Madagaskar gedruckt werden.  Mit dem daraus erzielten Einkommen wollten die Jugendlichen u.a. Bücher und Material für ihre Bibliothek und die Straßenbücherei kaufen.

Im November 2006 machten wir einen Ausflug in den Regenwald bei Andasibe. Die Jugendlichen lasen sich gegenseitig ihre fertigen Geschichten vor, diskutierten erneut die Frage der zweiten Sprachen des Buches und beschlossen kurz danach, dass ihr Buch in Malagasy und Deutsch erscheinen sollte.

Gruppenphoto

Das war imGrunde der zweite entscheidende Schritt, denn von nun an konnte ich – die Autorin aus Deutschland – die deutschen Übersetzungen besser überarbeiten.

Der deutsche Titel ist: „Madagaskar – Tage unseres Lebens“.

Sieben Jugendliche– Celine, Lucy, Naina, Brigitte, Ravaka, Naval und Jocelyn aus Antananarivo erzählen Geschichten aus ihrem Leben und Ruffin aus Tulear hat einen Artikel über die Beerdigungszeremonien der Vezo (der Etnie, der er angehört) geschrieben.

Die Jugendliche Prisca Rakotomanga hat die Erzählungen illustriert.

Am 1. Juni 2007 ist das Buch bei der Imprimerie Lutherienne in Madagaskar in Malagasy und Deutsch erschienen!!! Gerade rechtzeitig, denn unsere Termine für die Präsentationen des Buches in der Bibliothek in Antohomadinika am 2. Juni 2007 und im Goethe Zentrum am 6. Juni standen schon fest.

Das waren große Tage für die jungen AutorInnen und Prisca! Endlich war der Traum vom eigenen Buch kein Traum mehr, sondern Realität!

Beide Veranstaltungen waren sehr schön, mit vielen Gästen und aufgrund der unterschiedlichen Lokalitäten auch sehr unterschiedlich. In Antohomadinika waren viele Nachbarn, Freunde und Mitglieder anderer Hilfsprojekte gekommen. Im Goethe-Zentrum trafen wir Besucher aus der internationalen Gemeinde, Madagassen, die in irgend einer Weise mit Deutschland und der deutschen Sprache verbunden waren und Mitgliedern anderer Hilfsprojekte.

Besonders geehrt fühlten wir uns alle durch den Besuch des deutschen Botschafters, Dr. Wolfgang Moser, im Goethe-Zentrum (6.6.2007).

Madagaskar Buch Cover

Der Ablauf beider Veranstaltungen war ähnlich: Wir hatten eine kleine Pantomime vorbereitet, mit der wir unsere Sitzungen in dem kleinen Arbeitsraum vor gespielt haben. Danach haben die jungen Leute sich vorgestellt und aus ihren Texten vor gelesen und ich habe Teile aus den deutschen Übersetzungen vor getragen.

Zur Untermalung hatten wir Priscas Illustrationen aus gestellt.

Am 25. November 2007 werde ich im Rahmen einer Ausstellung (mit den ersten handgeschriebenen Texten, ersten Übersetzungen in Französich und dann in Deutsch, Überarbeitungsprozess, Fotos, Illustrationen etc.) in der PH Heidelberg vom Entstehen des Buches der Jugendlichen erzählen.

Sie sind alle herzlich dazu eingeladen!

Das Buchprojekt wurde mit Hilfe von Spenden von Hilfe für Afrika e.V. finanziert.

Da das Buch in Madagaskar erschienen ist, können Sie es nicht im deutschen Buchhandel bekommen.

Die erste Auflage von 600 Exemplaren ist in Madagaskar bereits vergriffen und die zweite Auflage ist anvisiert.

Das Buch ist leider nicht mehr über Hilfe für Afrika vorrätig. Bei Interesse bitte sich direkt mit ATD Quart Mond in Madagaskar in Verbindung setzen. ATD Fourth World – Madagascar: atdmada@wanadoo.mg Der Erlös vom Verkauf wird für ATD Madagaskar und andere Projekte verwendet werden. .

Die American School of Antananarivo hat in ihrem Newsletter “World on the Street” vom 3. April 2006, einen informativen Artikel über dieses Projekt veröffentlicht.

Weitere Links:

http://www.librikon.de/Nachbarskinder.htm#Madagaskar
http://www.librikon.de/Nachbarskinder.htm#Madagaskar2
http://www.librikon.de/Nachbarskinder.htm#Mada3